Bei Meditation denken die meisten Menschen an einen steif sitzenden Yogi, der mit verknoteten Beinen und versteinerter Miene die Erleuchtung sucht – und das am besten über mehrere Stunden hinweg in regungsloser Haltung. Schon beim Gedanken daran bekommt der ein oder andere Beklemmungen, akute Rücken- und Nackenschmerzen.
Gemeinsamer Nenner aller Meditationsarten
Es gibt jedoch viele verschiedene Meditationsarten, sogar eine ganze Familie an Meditationstechniken. Jeder Moment kann eine Einladung zum Meditieren/zur Achtsamkeit sein (Duschen, Gehen, Essen, Autofahren, Zuhören, Bewegen, Sprechen). Was alle eint: offen, wertfrei und bewusst wahrnehmen und beobachten, was ist, oder sich auf einen Fokuspunkt konzentrieren (Kerze, Gefühle, Gedanken, Mantra, Mudra, Atem, Bewegung etc.). Es ist ein Sein statt ein Tun!
In einer recht linearen, Yang-orientierten Gesellschaft wie der unsrigen, in der der Leistungsgedanke sehr dominierend ist, kann es hin und wieder eine Herausforderung sein, in die Stille zu gehen und „nichts“ zu tun oder vielleicht nur eine Sache zu tun statt überall und nirgendwo zu sein. „Nur“ hinzuhören und zu spüren, zu akzeptieren, was ist, Hingabe zu üben, mutet dem ein oder anderen als Zeitverschwendung an. Aber vor allem für Kinder und Jugendliche ist dies unglaublich heilsam – für jeden anderen natürlich auch.
Meditation muss keine komplizierte Angelegenheit sein
Alles, was es braucht, sind ein paar Minuten Ruhe, unsere Aufmerksamkeit und ein Objekt, auf das wir diese lenken können (gerichtete Aufmerksamkeit). Perfekt geeignet ist dafür zum Beispiel der Atem. Wir haben ihn immer dabei. Er ist eine körperliche Brücke in unser Inneres, da er sowohl unbewusst und unwillkürlich abläuft als auch bewusst wahrgenommen und willentlich verändert werden kann.
Das allen Meditationsformen gemeinsame Ziel ist, den Geist zur Ruhe kommen zu lassen, die Gedankenströme zu unterbrechen (es sei denn die Gedanken selbst werden zum Objekt der Meditation), den Monkey Mind zu beruhigen und damit Stress zu reduzieren. Denn Stress ist häufig hausgemacht: Wir verlieren uns immer wieder in Geschichten, Interpretationen, Deutungen, die unsere Emotionen und unser Handeln fortlaufend beeinflussen – nicht unbedingt zum Positiven. Evolutionsbiologisch bedingt haben wir den Fokus der Aufmerksamkeit tendenziell stärker auf den Dingen, die nicht gut laufen (Negativity Bias).
Mit der Achtsamkeits- und Meditationspraxis stoppen wir den immer währenden, zehrenden Gedankenstrom, lassen uns nicht mehr hineinziehen und umher wirbeln, sondern schauen entweder als bewusster Beobachter zu (und lernen dabei unsere Gedanken- und Handlungsmuster/unser Ich besser kennen) oder richten unseren Fokus auf das, was wir in diesem Moment tun (Achtsamkeit) bzw. auf unser selbstgewähltes Meditationsobjekt. Die Praxis des im Hier-und Jetzt-Ankommens hat aber noch weitere positive Begleiteffekte.
Warum Meditieren heilsam ist
Bei der Meditation und auch bei jeder achtsamen Tätigkeit sinken Herzfrequenz und Blutdruck, die Atmung verlangsamt sich, der Cortisol-Spiegel sinkt, wir gelangen zurück zu uns, in unser System, vom Kopf in den Körper und hin zum Spüren. Sein statt Tun und in Denkschleifen feststecken.
Achtsamkeit ist zudem ein Zustand von vorurteilsfreier Geistesgegenwart, das sogenannte im Hier und Jetzt sein. Ursprünglich handelt es sich bei dem Begriff um eine alte buddhistische Vorstellung. Wissenschaftler definieren dies heute aber auch als die intensive Aufmerksamkeit, die wir auf die Gegenwart richten – auf eine ebenso offene wie akzeptierende Weise.
Bei der Achtsamkeit haben wir eher eine Weitwinkelperspektive statt eine Zoom-Einstellung: es handelt sich um eine hellwache, klare, umfassende Offenheit des Geistes.
Dadurch führt Achtsamkeit zu einer umfassenderen Sichtweise, die uns neue, sinnvolle und oft kreative Handlungsmöglichkeiten eröffnen kann. Die Schulung der Achtsamkeit ist deshalb ein einfaches, konkretes und äusserst wirksames Mittel, um Stress abzubauen und Gesundheit und Wohlbefinden zu fördern. Sie ist auch deshalb von unschätzbarem Wert, weil sie uns die Kostbarkeit und Einzigartigkeit des gegenwärtigen Augenblicks bewusst werden lässt, unabhängig davon, ob wir gerade eine schöne und angenehme oder eine schwierige Erfahrung machen.
Oder mit den Worten von Jon Kabat-Zinn:
„Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen. Diese Art der Aufmerksamkeit steigert das Gewahrsein und fördert die Klarheit sowie die Fähigkeit, die Realität des gegenwärtigen Augenblicks zu akzeptieren.
Sie macht uns die Tatsache bewusst, dass unser Leben aus einer Folge von Augenblicken besteht. Wenn wir in vielen dieser Augenblicke nicht völlig gegenwärtig sind, so übersehen wir nicht nur das, was in unserem Leben am wertvollsten ist, sondern wir erkennen auch nicht den Reichtum und die Tiefe unserer Möglichkeiten zu wachsen und uns zu verändern …
Achtsamkeit ist eine einfache und zugleich hochwirksame Methode, uns wieder in den Fluss des Lebens zu integrieren, uns wieder mit unserer Weisheit und Vitalität in Berührung zu bringen.“
(Jon Kabat-Zinn, Im Alltag Ruhe finden)
Eine kleine Geschichte:
Ein Zen-Mönch wurde gefragt, welche geistig-religiösen Übungen er pflege.
Darauf der Mönch: Wenn ich esse, esse ich. Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich.
Darauf der Fragende: Das ist doch nichts Besonderes, das tun doch alle.
Mönch: Nein, wenn du sitzt, dann stehst du schon. Und wenn du stehst, dann bist du schon auf dem Weg.
Tipp: Bevor Kinder meditieren bzw. still sitzen oder liegen können, sollten sie sich kräftig ausgepowert haben. Kurz vor der Meditationsphase kann man sie daher noch einmal auf und ab springen lassen, Körperteile ausschütteln, Schattenboxe und auf der Stelle laufen lassen etc.